Alte Tugenden - längst vergessen?

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Johann
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Alte Tugenden - längst vergessen?

Beitrag von Johann »

Hallo zusammen,
in der gestrigen Zeitung (Sonntag Aktuell) fand ich nachfolgenden Artikel, in dem auf zwei uralte Tugenden hingewiesen wird, die heutzutage leider so gut wie out sind. Gerade heute wäre es sehr angebracht, dass führende Wirtschafts- und Finanzmanager angesichts der von ihnen zu verantwortenden Krisen :twisted: sich ihrer erinnern:
"Wir müssen leider draußen bleiben!"
Sonntag Aktuell, 23. November 2008

"Gestatten Sie, dass ich Ihnen ein Dankeschön sage" und "Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen". Diese Sätze sind zwei Säulen mitteleuropäischer Zivilisation. Sie bröckeln vor sich hin. Noch immer schalten die Banken Anzeigen und Fernsehspots mit dem Versprechen auf hohe Zinsen und beste Beratung, während das Geld der Steuerzahler in ihre Gebäude gepumpt wird, wie Füllmasse in einen morschen Baumstamm, den man aus naturkundlichen Gründen der Nachwelt erhalten möchte.

Vergeblich durchblättert der Leser seine Zeitung auf der Suche nach seitenfüllenden Anzeigen, in denen die Bank oder die Autofirma in Gestalt ihres Vorstandsvorsitzenden zwei Sätze sagt: "Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, dass wir den Laden gegen die Wand gefahren haben" und "Gestatten Sie, dass ich Ihnen ein Dankeschön für Ihre großzügige Hilfe sage".

Japanischer Sitte folgend, könnten die Spitzen des Geldgewerbes sich vor der Kamera der "Tagesschau" demutsvoll verbeugen und öffentlich Abbitte leisten, wobei im Kommentar auf den Unterschied zwischen fernöstlichen und europäisch-amerikanischen Entschuldigungsritualen hinzuweisen wäre. In der uns fremden Zivilisation stürzte der beschämte Schuldner sich in sein Schwert, heute zieht er auch dort einen weniger dramatischen Abgang von der Bühne des Lebens vor. In unseren Breiten dagegen nimmt er nach dem persönlichen Scheitern ganz selbstverständlich eine Millionenabfindung mit und sucht nach einem Steuersparmodell, das ihn davor bewahrt, allzu viel in die Kassen der Solidargemeinschaft zu zahlen, die das von ihm ruinierte Unternehmen saniert.

Würde heute zu einem Gipfeltreffen von "Dankeschön"- und "Entschuldigen Sie bitte"-Verweigerern gebeten, hätten auch ein paar andere Dienstlimousinen Vorfahrt. Andrea Ypsilanti bräuchte nur den Satz zu sagen: "Liebe Hessen, entschuldigt bitte, dass ich mein Wahlversprechen gebrochen habe. Es tut mir leid. Ich will es nie wieder tun." Mit dieser Courage würde sie in die Geschichte des Landes eingehen. So bleibt ihr nur das Verdienst, das Hessische, das wir nach der Absetzung des "Blauen Bocks" und der "Familie Hesselbach" vermissen, wieder fernsehfähig gemacht zu haben.

Hat eine Zeitung oder ein Fernsehprogramm nachweislich unwahr berichtet, haben die Redakteure die Richtigstellung in gleicher Größe und am gleichen Platz zu präsentieren, im Extremfall sogar als Titelzeile. Gälte diese Regel auch in der Politik, dürften die Plakatwände voll sein mit dem Widerruf vollmundig gegebener Versprechen von Steuersenkung und Steuerreform, Abbau der Arbeitslosigkeit und für ein effizientes Bildungssystem. Auch die Bundeskanzlerin dürfte da mal "Entschuldigen Sie bitte" sagen und "Dankeschön, dass Sie mich trotzdem alle paar Wochen wieder zur beliebtesten Politikerin wählen". Der Bürger will nicht nachtragend sein, aber er hätte aus der Ehrenloge von Politik und Wirtschaft gern mal ein nettes Wort gehört und die Regeln des menschlichen Umgangs bekräftigt gefunden, die er seinen Kindern täglich einzubläuen versucht.

Aber er hört höchstens mal ein hingenuscheltes "Tschuldigung", ein rotziges "Pech gehabt" oder ein achselzuckendes "die Zeiten haben sich eben geändert". Faule Ausreden haben in der Rezession Hochkonjunktur. Nur tragen Generationen von Steuerzahlern wie geduldige Packesel die Bürden der Krise. Und kein Autoverkäufer wird es ihnen mit einem Sonderrabatt, kein Kundenberater mit günstigen Kreditkonditionen danken. Neben dem Wirtschaftsförderungsprogramm, das Milliarden verschlingt, wäre ein kostenfreies Anstandsförderungsprogramm angesagt: Staatliche Garantien und Steuergelder bekommt nur, wer sich öffentlich für Fehlverhalten entschuldigt und hörbar "Dankeschön" sagt. Wer das nicht schafft, gehört zum Anstandsprekariat und wird nicht bedient. Pech gehabt: "Wir müssen leider draußen bleiben!"
Johann
Grüße aus Ladenburg als der ältesten Stadt rechts des Rheins,
Johann
Michael Sorgenfrey
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Beitrag von Michael Sorgenfrey »

Hallo Johann,

der Artikel findet meine Zustimmung.

Die Bürger unseres Staates sollten im täglichen Leben auch in der Lage zu sein, sich zu bedanken und zu entschuldigen.

Gruß Michael
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