Fertigungstiefe und Globalisierung

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Johann
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Fertigungstiefe und Globalisierung

Beitrag von Johann »

Hallo zusammen,
im heutigen Mannheimer Morgen las ich den folgenden Artikel, nachzulesen unter http://www.morgenweb.de/nachrichten/wis ... 11633.html
Tabletten auf Weltreise

Deutsche Medikamente werden längst in aller Welt hergestellt. Problematisch ist das nur, wenn Zulieferer mit nicht kontrollierten Sub-Unternehmen zusammenarbeiten. Von Nicola Kuhrt

Die Eröffnung des neuen Werks bei Ho-Chi-Minh-Stadt vor einem Jahr war dem Arzneimittelhersteller Stada eine stolze Mitteilung wert. Es sei die erste Medikamentenfabrik Vietnams, die alle internationale Standards erfülle und damit "Produkte für den Vertrieb in der Europäischen Union produzieren darf". Aber was Stada in Vietnam produziert, bleibt Betriebsgeheimnis. "Zu derartigen Details äußern wir uns nicht", sagt ein Sprecher.

Medikamente sind heute Globetrotter. Die Substanzen der Pillen kommen aus Indien, Israel, China oder Litauen. Vor allem Hersteller von Generika, also von Medikamenten, deren Patentschutz abgelaufen ist, kaufen immer häufiger ganze Produktionsschritte bei Zulieferern ein. In Asien hergestellt, in Ungarn oder Rumänien verpackt, in Malta kontrolliert, zum Schluss nach Deutschland transportiert.

Verschleierung der Herkunft

Doch die meisten deutschen oder in Deutschland ansässigen Pharmafirmen schweigen beharrlich zu den Ursprungsländern und Produktionswegen ihrer Medikamente. Kennzeichnungen wie "Made in Vietnam" sind für Arzneimittelfirmen keine Pflicht. Die Pharmafirmen wollten den Eindruck, Produkte "Made in Germany" anzubieten, aufrechterhalten, sagt Peter Homberg, Gesundheitsexperte der Wirtschaftskanzlei Jones Day. "Das macht einen positiveren Eindruck."

Für Sven Dethlefs, Deutschlandchef von Teva, dem weltgrößten Anbieter von Nachahmerpräparaten aus Israel, ist das Schweigen vieler Unternehmen dagegen unverständlich: "Das Pharmageschäft ist längst global, das weiß doch jeder." Wie viele Arzneimittel ganz oder in Teilen im Ausland hergestellt werden, lässt sich nur schätzen. Wie bei den Unternehmen selbst ist auch bei deren Interessenverbänden wenig Konkretes zu erfahren.

Der Verband forschender Arzneimittelhersteller, der große Konzerne vertritt, beschränkt sich darauf, Trends zu beschreiben: Wirkstoffe, die relativ einfach zu synthetisieren sind, kämen eher aus Asien oder Südosteuropa, etwa Schmerzmittel, Blutdrucksenker oder Antibiotika. Wenn es "kniffliger" werde, blieben die Hersteller mit der Produktion in Deutschland oder Westeuropa. Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie, der mittelständische Unternehmen vertritt, will sich zur Frage der Wirkstoffherkunft nicht äußern. Firmen, die Auskunft geben, verweisen auf Kostendruck.

Einkauf von Zutaten

Die Rabatte, die deutsche Krankenkassen seit 2004 verlangen können, haben die Margen stark gedrückt. Höhere Preise sind praktisch nur noch bei innovativen oder sehr speziellen Medikamenten möglich. Beispiel Ramipril: An einer Packung mit 20 Tabletten des Blutdrucksenkers, dessen Patentschutz abgelaufen ist, verdient der französische Hersteller Sanofi-Aventis nach eigenen Angaben 69 Cent - im regulären Verkauf. Unter der Rabattmacht der Krankenkassen müsse der Hersteller den Preis unter diese Erlösgrenze drücken, sagt ein Sprecher. Die Konkurrenz reduziere ihn auf bis zu 25 Cent. Darum habe Sanofi die Produktion "intern ausgelagert". Ein Teil des Wirkstoffs wird in Indien gefertigt, der andere in Italien.

Andere Firmen lagern nicht die Produktion aus, sondern kaufen Wirkstoffe oder Teile davon bei Zulieferern in Billiglohnländern ein. "Ich wüsste kaum einen Hersteller, der keine Wirkstoffe aus Ländern wie Indien bezieht", sagt Stephan Walz, Geschäftsführer der mittelständischen Lindopharm. Bei einem Antibiotikum etwa, dessen Wirkstoff rund 60 Prozent der Gesamtkosten ausmacht, sei ein günstiger Einkauf ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Vier von fünf Arzneimittel-Wirkstoffen kommen aus China und Indien, schätzt die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft. Noch in den 90er Jahren sei das anders gewesen: 80 Prozent aller Substanzen kamen aus Europa und Amerika.

Der Druck, so günstig wie möglich zu produzieren, treibe die Hersteller seit Jahren in immer neue Länder, sagt Christoph Ebensperger, Pharmaexperte der Unternehmensberatung Horvath & Partner. Erst seien die Firmen nach Irland gegangen, weil die Personalkosten niedrig waren. Das sei mittlerweile vorbei, immer mehr Produktionsstätten dort schließen. Die Unternehmen sind weitergezogen - nach Osteuropa, vor allem nach Indien und China.

Aufsteiger Indien

Dass es gerade Indien geschafft hat, weltweit eine führende Rolle in der Produktion von Arzneimitteln zu übernehmen, hat viele Gründe. Zahlreiche Betriebe arbeiten dort preisgünstig und dennoch nach internationalen Standards. Nach einer Analyse der Unternehmensberatung Accenture verdient dort ein Sachbearbeiter 15 Prozent dessen, was ein vergleichbarer Angestellter in den USA erhält, ein Chemiker die Hälfte. Der Export wird vom indischen Staat subventioniert. Darüber hinaus ist der Subkontinent mit 1,2 Milliarden Einwohnern selbst ein interessanter Absatzmarkt.

Indische Hersteller sind längst groß genug, um selbst in die Forschung zu investieren. Oder sie kaufen Unternehmen, um auf neue Märkte vorzudringen. In Deutschland gehört etwa Betapharm dem indischen Branchenprimus Dr. Reddy's. Der indische Pharmakonzern Ranbaxy hat die ehemalige Bayer-Tochter Basics geschluckt. So weit ist China noch nicht, doch der Fortschritt beim indischen Nachbarn macht sich bemerkbar. Zahlreiche indische Wirkstoffhersteller ließen bestimmte Bestandteile im noch billigeren China produzieren, sagt Peter Krcmar, Vorstand des badischen Generikaherstellers KSK-Pharma.

So ist China mittlerweile zu einem weltweiten Lieferanten von Heparin geworden, einem häufig bei Thrombosegefahr, in der Dialyse und bei Herzoperationen eingesetzter Blutverdünner. In Familienbetrieben in der Provinz Jiangsu nördlich von Schanghai leben Dörfer davon, den Wirkstoff aus Schweinedärmen zu gewinnen. Hersteller kaufen die Substanz ein, veredeln sie und verkaufen sie an größere Pharma-Zulieferer weiter.

Unsaubere Herstellung

Heparin steht für einen der spektakulärsten Fälle von verunreinigten Wirkstoffen aus China. 2008 tauchte es in mehreren europäischen Ländern und den USA auf. In Deutschland erlitten rund 80 Patienten allergische Schocks, in den USA gab es auch Todesfälle. Der Branchenverband VFA verweist darauf, dass am Ende stets der Hersteller hafte. Jede Pharmafirma habe ein Interesse daran, nur beste Qualität zu liefern. Im Fall Heparin habe ein krimineller Zulieferer eine Schwäche der Prüfungen ausgenutzt: Die Analysegeräte erkannten nicht, dass eine schädliche Heparin-Variante geliefert wurde. Der deutsche Arzneimittelhersteller Rotexmedica, der wie viele Unternehmen das verunreinigte Heparin bezogen hatte, musste weltweit alle Produkte zurückrufen. Der Zulieferer in China habe den Wirkstoff selbst aus anderen Quellen bezogen. Hier müsse er verunreinigt worden sein, sagt ein Sprecher.

Internationale Auflagen

Jedes Unternehmen, das Arzneimittel oder Bestandteile produziert, muss Auflagen erfüllen - unabhängig vom Sitz des Unternehmens und unabhängig davon, ob es sich um Hersteller handelt, Zulieferer oder Firmen, die ganze Produktionsketten übernehmen. Auch ein indischer Zulieferer braucht die Erlaubnis zur Herstellung von der US-Arzneimittelbehörde FDA oder ihrem europäischen Pendant, der EMEA. Zusätzlich kann Besuch aus Deutschland kommen. Abhängig vom Sitz der Pharmafirma, die den Zulieferer beauftragt hat, ist der entsprechende Regierungsbezirk zuständig und schickt Inspektoren. "Es ist egal, ob ein Betrieb in Hamburg oder Nanjing sitzt", sagt ein Arzneimittelprüfer der Bezirksregierung Düsseldorf. Ist er nach der Inspektion mit dem Betrieb zufrieden, vergibt er eine Importerlaubnis für zwei Jahre.

Pharma-Experten halten die Produktion in Asien mit Blick auf die Arzneimittelsicherheit für problematisch. Ulrike Holzgrabe, Arzneimittel-Expertin der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, sagt: "In China weiß man nicht, ob in diesen Betrieben dann auch wirklich produziert wird." Manche Firmen geben Aufträge weiter oder unterhalten andere unbekannte Standorte. Die Fachgesellschaft schätzt, dass in China 3000 von 4500 Produktionsstätten für Wirkstoffe von den westlichen Behörden oder der Pharmaindustrie nicht kontrolliert werden.

Dass es Firmen gibt, die ohne Wissen der Zulassungsbehörden für Wirkstoffproduzenten arbeiten, ist unter Inspektoren bekannt, sagt ein Mitarbeiter der deutschen Zulassungsbehörde. Margaret Hamburg, Chefin der US-Behörde FDA, spricht von "Herausforderungen in Indien und anderen Ländern". Sie wolle dieses Jahr die "Kapazitäten für internationale Kontrollen erweitern" und die chinesischen Hersteller stärker unter die Lupe nehmen. "Der globale Handel wird eine unserer größten Aufgaben", sagt sie.
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Diese Auflistung spricht für sich - und auch Bände :!:

Mich erinnert der Artikel sehr an die Globalisierung der Automobil-Industrie, immer weitergehende Reduzierung der Fertigungstiefe, die vor 50 Jahren noch bei über 60% lag. Und Verlagerung der Produktion und der tatsächlichen Verantwortung nach außerhalb. Der Einkauf von halbfertigen oder unfertigen Komponenten und anschließender Fertigstellung in Deutschland nennt bezeichnenderweise man auch Produktveredelung ...

Gruß Johann
Grüße aus Ladenburg als der ältesten Stadt rechts des Rheins,
Johann
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